Ein Artikel von Dr. Fabian Herdter, LL.M. Eur., Rechtsanwalt und Partner bei WILHELM Rechtsanwälte
„Muss ich Schadensersatz in Millionenhöhe leisten? Und was, wenn mein D&O-Versicherer die Zahlung dann nicht übernimmt?“ Derartig existenzielle Fragen bleiben für Vorstände und Geschäftsführer, die von ihrem (Ex-)Arbeitgeber auf Schadensersatz in Anspruch genommenen wurden, oft über Jahre offen. Eine unglückliche Situation nicht nur für die Betroffenen, sondern regelmäßig auch für das Unternehmen, deren Management nicht absehen kann, ob der erlittene Vermögensschaden schlussendlich ausgeglichen wird oder nicht.
Abtretung des Versicherungsanspruchs möglich
Es gibt jedoch eine Abkürzung dieses langwierigen Verfahrens, die zudem den Manager aus dem Feuer nehmen kann: Die Abtretung des Versicherungsanspruchs vom Manager an das Unternehmen an Erfüllungs statt. Tritt der Manager den Freistellungsanspruch an Erfüllungs statt an das Unternehmen ab, erlischt mit der Abtretung der Haftungsanspruch gegen den Manager. Dann kann das Unternehmen direkt Zahlung vom D&O-Versicherer verlangen und muss nicht mehr gegen den ehemaligen – oder aktuellen – Geschäftsführer vor Gericht ziehen.
In der Pflicht-Haftpflichtversicherung ist es allgemein möglich, dass der Geschädigte sich direkt an den Haftpflichtversicherer des Schädigers wenden kann, um seinen Schaden auszugleichen. Das beschleunigt nicht nur die Schadenabwicklung, sondern sorgt dafür, dass sich Schädiger und Geschädigter auch hinterher noch in die Augen schauen können. In der Kfz-Haftpflicht ist dies bspw. alltägliche Praxis. Dass ein solches direktes Vorgehen des geschädigten Unternehmens gegen den Versicherer auch in der Managerhaftpflicht nach einer Abtretung des Versicherungsanspruchs möglich ist, bestätigte 2016 der Bundesgerichtshof (BGH) auf Betreiben unserer Sozietät. Daran ändere auch die Doppelrolle des Unternehmens als Versicherungsnehmer und Geschädigter nichts.
Darlegungs- und Beweislast kann streitentscheidend sein
Doch trotz Zulässigkeit hat sich die Abtretung des Versicherungsanspruchs noch nicht auf breiter Front in der D&O durchgesetzt. Das liegt daran, dass einige prozessuale Rechtsfragen der direkten Inanspruchnahme des D&O-Versicherers noch ungeklärt sind. Eine maßgebliche Frage ist die der Darlegungs- und Beweislast.
In einem klassischen Haftungsprozess einer GmbH gegen ihren Geschäftsführer (auf Grundlage des § 43 Abs. 2 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung) muss die Gesellschaft nur darlegen und beweisen, „dass und inwieweit ihr durch ein Verhalten des Geschäftsführers in dessen Pflichtenkreis ein Schaden erwachsen ist“ (BGH, Urteil v. 4. November 2002 – II ZR 224/00). Der Geschäftsführer muss dann darlegen und beweisen, dass er keine seiner Pflichten verletzte, ihn kein Verschulden trifft oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre. Im Hinblick auf Vorstände von Aktiengesellschaften ist dieser Grundsatz sogar gesetzlich in § 93 Abs. 2 Satz 2 Aktiengesetz festgehalten.
Für Manager, die auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, ist diese Beweislast eine hohe Hürde. Wenn sie bereits aus dem Unternehmen ausgeschieden sind, haben sie meist keinen Zugriff mehr auf E-Mails und Dokumente. Die Geltendmachung von Auskunftsansprüchen ist häufig problematisch. Oft liegt die vermeintliche Pflichtverletzung zudem Jahre zurück. Das eigene pflichtkonforme Verhalten zu beweisen, wird dann schwer. Das Unternehmen profitiert also von einer für sie günstigen Beweislastverteilung.
Wie sind die Regeln im Direktprozess?
Das Problem ist nun, dass bislang gerichtlich ungeklärt war, ob diese für das Unternehmen vorteilhafte Beweislast-Regelung auch im Direktprozess gegen den Versicherer gilt. Wenn die Regelung übertragbar ist, muss der Versicherer beweisen, dass der Manager nicht pflichtwidrig gehandelt hatte. Ist die Regelung nicht übertragbar, so muss das Unternehmen die Pflichtverletzung des Managers darlegen und beweisen. Das würde die direkte Inanspruchnahme des D&O-Versicherers riskant werden lassen.
Das OLG Köln (Urteil vom 21.11.2023 – Az. 9 U 206/22) stellte in einem Direktprozess eines geschädigten Unternehmens gegen den D&O-Versicherer auf unser Betreiben hin nun klar: Auch im Direktprozess gelten die gleichen Grundsätze wie im klassischen Organhaftungsprozess. Der Versicherer tritt an die Stelle des in Anspruch genommenen versicherten Entscheidungsträgers und muss dessen pflichtgemäßes Verhalten beweisen.
Die direkte Inanspruchnahme wird attraktiver
Mit der Klarstellung aus Köln fällt ein wesentliches Prozessrisiko in der Direktklage gegen den D&O-Versicherer weg. Für geschädigte Unternehmen und ihre Manager gewinnt die „Abkürzung durch Abtretung“ damit an Attraktivität. Das aktuelle Management und die ehemaligen Entscheidungsträger können im Guten auseinandergehen. Auch eine Weiterbeschäftigung eines fähigen Geschäftsführers ist möglich, weil der belastende Schadensersatzprozess Unternehmen gegen Manager vermieden wird. Voraussetzung für diesen „Königsweg“ der Schadenregulierung ist eine gut gemachte Abtretungsvereinbarung, die die Interessen beider Seiten zufriedenstellend berücksichtigt.
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