Interview mit Mathias Berg, CSO und Geschäftsführer der Thinksurance GmbH
Herr Berg, die Betriebs- und Berufshaftpflicht sowie die gewerbliche Sach gelten als Dauerbrenner in der Gewerbeversicherung. Wo besteht Ihrer Einschätzung nach weiterer Handlungsbedarf?
Das Umsatzpotenzial im Gewerbebereich ist übergreifend sehr hoch. Wir haben bei deutschen Unternehmen eine geschätzte Unterdeckung in Höhe von 2 Mrd. Euro Prämienvolumen. Da besteht für jeden Vermittler signifikantes Geschäftspotenzial.
Bei der Betrachtung einzelner Sparten bleiben die Betriebs- und Berufshaftpflicht sowie gewerbliche Sachversicherungen die Eckpfeiler der Gewerbeversicherung. Sie stehen für mich als solche auch bei den Umsatzpotenzialen weiter ganz oben. Durch generelle Marktentwicklungen wie beispielsweise die Inflation besteht zudem dringender Bedarf, die Deckungen in der Gebäudeversicherung zu überprüfen. Auch die Flottenversicherung ist weiterhin ein Kernthema und sollte gerade in der aktuell stattfindenden Wechselsaison Teil der Beratung sein.
Das höchste Umsatzpotenzial wird hingegen künftig bei Cyberpolicen gesehen. Wie deckt sich das mit Ihrer Wahrnehmung?
In Bezug auf Cyberpolicen können wir feststellen, dass das Bewusstsein für die wachsenden Risiken im Zusammenhang mit Cyberangriffen in der Geschäftswelt steigt. Dies wird auch durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) bestätigt – neben großen Unternehmen stehen zunehmend auch kleinere und mittlere Unternehmen im Mittelpunkt von Cyberangriffen. Das Potenzial in der Beratung zu Cyberrisiken steigt daher deutlich. Dies sehen wir auch übergreifend im Markt: Zu Cyberrisiken wird von Vermittlern mehr und mehr beraten. Die zurückhaltende Eindeckung von Cyberrisiken aus den vergangenen Jahren hat sich in den letzten Monaten geändert, sodass es hier einen deutlich positiven Trend zu verzeichnen gibt.
Um Vermittler bei der Beratung zu Cyberrisiken zu unterstützen, haben wir in unserem kürzlich live geschalteten Vertriebscenter Vertriebsansätze und Schadenbeispiele aufgeführt. Damit werden Vermittler besser in die Lage versetzt, den Kunden zu beraten und die richtige Eindeckung zu finden.
Umgekehrt gelten etwa Betriebsunterbrechungen angesichts fragiler Lieferketten oder einer ungewissen Energieversorgung zu einem der Top-Risiken für das Gewerbe. Wie macht sich das bei Thinksurance bemerkbar?
Die Fragilität von Lieferketten ist spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie offensichtlich geworden. Die veränderte geopolitische Lage hat dies nochmals verschärft. In der heutigen Geschäftswelt ist die daraus entstandene Dynamik fast schon Alltag geworden. Unternehmen müssen heute mit längeren Betriebsunterbrechungen rechnen und sich gegen eine Vielzahl von potenziellen Risiken absichern, die in der Vergangenheit weniger relevant waren.
Die veränderte Situation der Unternehmen spiegelt sich im Markt und damit auch auf unserer Plattform wider. Wir beobachten eine Anpassung an den veränderten Versicherungsbedarf innerhalb der Branche. Versicherer passen Deckungskonzepte an, beispielsweise mit veränderten Haftzeiten in den Versicherungspolicen. Der Standard für die Haftzeit lag lange bei zwölf Monaten. Angesichts der längeren Zeiträume, in denen Unternehmen von Betriebsunterbrechungen betroffen sein können, sehen wir hier eine sukzessive Anhebung. Daraus resultieren neue Tarife, die auf unserer Plattform integriert werden und das Angebot für Betriebsunterbrechungen erweitern.
Die Produktgeber reagieren also darauf?
Wir sehen definitiv eine Reaktion auf das veränderte Marktumfeld. Betriebsunterbrechungen sind nur ein Beispiel für die komplexe Risikolandschaft, in der sich Unternehmen aktuell bewegen. Versicherer sehen den Bedarf und sind bestrebt, kundenorientierte Lösungen anzubieten und damit den sich wandelnden Bedürfnissen auf dem Markt gerecht zu werden.
Gewerbeversicherungen gelten als kompliziert und schwer digitalisierbar. Die Anforderungen können sehr spezifisch sein. Wie stellt Thinksurance sicher, dass der Digitalisierungsprozess individuelle Anforderungen berücksichtigt, ohne die Beratungsqualität zu beeinträchtigen?
Tatsächlich sind Gewerbeversicherungen oft komplex und die Anforderungen können sehr spezifisch sein. Mit unserer Advisory Suite haben wir eine Lösung geschaffen, von der alle Marktteilnehmer profitieren: Von der Bedarfsermittlung über die Erfassung der Risikoparameter und die automatisierte Erstellung von Synopsen bis hin zum Abschluss und der Dokumentation bietet unsere Software dem Vermittler eine signifikante Unterstützung in der Beratung. Die umfassende Markttransparenz über den Vergleich der Versichererangebote wurde allein in diesem Jahr um mehr als 150 neue Tarife ergänzt. Im kommenden Jahr werden bis zu 300 zusätzliche Tarife integriert. In Verbindung mit unseren intelligenten Fragebögen zur Risikoerfassung, die aktuell 65 Produkte, über 2.000 Betriebsarten und 20 Branchen abbilden, ermöglichen wir Maklern einen hochindividualisierten und zuverlässigen Beratungsprozess. Unsere Ausschreibungsplattform, über die individuelle Angebote von Versicherern angefordert werden können, komplementiert diesen Prozess. Damit gelingt es uns, individuelle Anforderungen zu berücksichtigen und die Beratungsqualität sogar noch zu verbessern.
Wie profitieren die Vermittler von diesem Gesamtpaket?
Vermittler und deren Kunden können von der Effizienz und der Transparenz profitieren, die die Digitalisierung bietet. Die Zeit, die der Vermittler durch beispielsweise die automatisierte Erstellung einer Synopse einspart, kann er mit dem Kunden verwenden, um das Risiko des Kunden detaillierter zu erfassen oder ihm ein passgenaues Deckungskonzept zu unterbreiten.
Gibt es spezielle Branchen oder Gewerbebereiche, in denen Sie feststellen, dass die Digitalisierung von Beratungsprozessen besonders gut vorankommt?
Die Versicherungsbranche erlebt in den letzten Jahren einen erheblichen Fortschritt bei der Digitalisierung von Beratungsprozessen, der bereichsübergreifend spürbar ist. Ein konkretes Beispiel ist die Baubranche. Hier kommt die Digitalisierung von Beratungsprozessen besonders gut voran. Aber branchenübergreifend erkennen alle Marktteilnehmer die vielen Vorteile, die der Einsatz von Technologien und Daten mit sich bringt. Die Digitalisierung hat dazu beigetragen, mehr Transparenz in den Versicherungsmarkt zu bringen.
Als Technologieunternehmen sehen wir die Veränderungen bei Versicherern in unserer täglichen Arbeit. Sie treffen datengestützte und damit fundiertere Entscheidungen, von denen alle Marktteilnehmer profitieren, nicht zuletzt, weil sie eigene Policen zu marktüblichen Preisen anbieten können. Durch den Einsatz von Datenanalysen können Risiken besser bewertet und Tarife genauer kalkuliert werden. Das bestätigt uns, dass die Digitalisierung ein mächtiges Werkzeug ist, um die Versicherungswelt für alle Beteiligten transparenter, effizienter und zugänglicher zu gestalten.
Der Maklermarkt verändert sich gegenwärtig stark. Durch Auf- und Zukäufe entstehen immer größere Einheiten, Marktgewichte verschieben sich. Wie blickt Thinksurance auf diesen Prozess?
Wir verfolgen diese Entwicklungen aufmerksam und sind in engem Austausch mit sehr vielen Marktteilnehmern. Für uns als Plattform ist es immer bedeutend, die Entwicklungen und Trends des Marktes eng zu verfolgen. Unsere Strategie überprüfen wir regelmäßig, um auf diese Veränderungen – falls notwendig – zu reagieren.
Und welchen Einfluss hat diese Dynamik auf die strategische Entwicklung der Plattform?
Grundsätzlich sehen wir uns gut im Markt positioniert und decken vom Poolmakler über Finanzstrukturvertriebe, Digitalmakler, Banken und Ausschließlichkeitsorganisationen bis zu Großmaklern eine große Marktbandbreite ab.
Ein übergreifender Trend, der teilweise durch die Konsolidierung begünstigt wird, ist die stark zunehmende Forderung nach mehr Effizienz, höherer Geschwindigkeit, beispielsweise in der Angebotserstellung, und höheren Dunkelverarbeitungsquoten. Dieser Trend trifft den Kern unserer DNA. Insofern arbeiten wir genau daran mit Hochdruck: Von der Integration in Maklerverwaltungssysteme über die Optimierung der Angebotsabgabe – digital und vollautomatisiert dank integrierter Versicherungsprodukte oder hybrid im anfragepflichtigen Geschäft über die Ausschreibungsplattform – bis hin zu Policierungs- und Abschlussprozessen arbeiten wir kontinuierlich an der Prozessoptimierung von Vermittlern und Versicherern. Wir sind bereits einige Schritte gegangen, sehen aber weiterhin deutliche Optimierungspotenziale und -bedarfe in der Versicherungsindustrie. Wir freuen uns, diese auch zukünftig zu gestalten.
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Bild: © Mathias Berg, Thinksurance
Source: ImmoCompact