Seit Kurzem ist klar, dass 34f-Vermittler vorerst von der Abfragepflicht von Nachhaltigkeitspräferenzen bei Kunden befreit sind. Wie lässt sich das erklären?

Norman Wirth: Das ist leider kompliziert und nicht wirklich schlicht zu erklären. Kurzfassung: Pfusch des deutschen Gesetzgebers. Langfassung: Das Problem liegt in einer unkorrekten Umsetzung von Artikel 3 der MiFID-II-Verordnung begründet: Mitgliedsstaaten wie Deutschland, die von der sogenannten Bereichsausnahme Gebrauch machen, sind verpflichtet, hinsichtlich der Anforderungen an die Berufsausübung der der Bereichsausnahme unterliegenden Personen – bei uns die 34f-Vermittlerinnen und Vermittler – bezüglich des Verbraucherschutzes die gleichen Wohlverhaltensregeln umzusetzen wie sie für Wertpapierfirmen gelten. Es wird aber nun im Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz davon ausgegangen, dass es sich bei dem Verweis in § 16 Finanzanlagenvermittlungsverordnung – FinVermV – auf Artikel 54 der Delegierten Verordnung der EU um einen starren Verweis handelt, der nicht auf die jeweils gültige Verordnung verweist, sondern auf die Verordnung zum Zeitpunkt der Verabschiedung der FinVermV. Statisch statt dynamisch also.

Versicherungsvermittler müssen ab 02.08.2022 mit der Abfrage starten, 34f-Vermittler noch nicht. Außer dass dies zu absurden Situationen in der Beratung führen kann: Bis wann rechnen Sie mit der Umsetzung für die Finanzanlagenvermittler?

Martin Klein: Hierfür muss der deutsche Gesetzgeber die FinVermV anpassen. Bisher liegt hierfür nicht einmal ein Entwurf vor, der zwischen drei Ministerien abzustimmen ist und der Zustimmung des Bundesrats bedarf. Die frühestmögliche Bundesratssitzung nach der Sommerpause ist am 16. September. Bis diese Änderung dann im Bundesgesetzblatt offiziell veröffentlicht wird, wird dann auch noch etwas Zeit vergehen. Also ist eher das Jahresende realistisch.

Wir stellen in Gesprächen fest, dass die kommende Pflicht noch nicht überall so wahrgenommen wird, wie es sein sollte. Der Aufschub bei den 34f-Vermittlern könnte das Gefühl verstärken „hat ja alles noch Zeit“. Ist aber nicht so, oder?

Norman Wirth: Korrekt. Aktuell läuft die Informations- und Qualifizierungswelle zum Thema ESG erst so richtig an. Warum so spät? Weil viele Parameter seitens des Gesetzgebers auch erst sehr spät und sukzessive veröffentlich werden. Auch ich halte nahezu täglich Vorträge für Pools, Vertriebe und Versicherer und muss immer wieder feststellen, dass häufig noch extrem viel Aufklärungsbedarf in der Vermittlerschaft vorhanden ist. Ob es der 2. August oder 1. Januar sein wird, ist letztlich auch fast egal. Es geht ja vor allem um die Sache. Und AfW und VOTUM appellieren gemeinsam, dass das Thema von den 34-Vermittlerinnen und -vermittlern so oder so angesprochen wird. Für die Versicherungsvermittlerinnen und -vermittler steht der 2. August im Übrigen fest. Da gibt es keine Diskussion.

In der AssCompact Redaktion wurde eine Information so interpretiert, dass der erreichte Aufschub begrüßt wird. Ihnen und Ihren Verbänden ging es dabei aber nicht um die Abfragepflicht als solches, sondern um die Praktikabilität in der Beratung. Hier sind noch viele Fragen offen. Wo liegen die Hauptprobleme?

Martin Klein: Um Missverständnisse vorzubeugen: Einen „Aufschub“ des Wirtschaftsministeriums gab es nicht. Das Ministerium hat einfach übersehen, dass die 34f-Vermittler von der aus Brüssel kommenden Delegierten Verordnung schlicht nicht unmittelbar betroffen sind. Hätte das Ministerium dies von Beginn an erkannt, wäre der nun fehlende nationale Rechtsakt rechtzeitig angestoßen worden.

Norman Wirth und ich möchten noch einmal ausdrücklich betonen, was wir seit geraumer Zeit gegenüber der Politik und in der Öffentlichkeit gebetsmühlenartig wiederholen: Natürlich ist sich unsere Branche bewusst, welche maßgebliche Rolle sie bei der Erreichung der Klimaziele einnimmt! Und wir sind bereit, unseren Teil beizutragen! Das geht aber nur, wenn wir uns auf einen klaren und eindeutigen Rechtsrahmen verlassen können.

Lassen Sie mich Ihre Frage nach den Hauptproblemen an drei Beispielen exemplarisch beantworten:

1. Produkt- und Beratungsregulierung passen nicht zusammen

Die EU hat bemängelt, dass die Industrie zu viele unterschiedliche Ladestecker für Mobiltelefone anbietet und nun einen Standard festgelegt. Im Bereich der nachhaltigen Geldanlage hat sie es selbst verschuldet, dass ihre Bestimmungen zu Produktentwicklung – Fonds nach Artikel 8 und 9 der Offenlegungsverordnung – nicht zu den Vorgaben zur Befragung der Kunden nach ihren Nachhaltigkeitspräferenzen passen. Sinnbildlich haben wir nach den nunmehr vorgegeben Fragepflichten keine passende Steckverbindung zu den Anlageprodukten. Die Produktanbieter sind jetzt gezwungen, nochmals die Beschreibung und Definition ihrer Produkte umzubauen, um eine Schnittstelle zu schaffen. Ein weiteres Beispiel dafür, dass es inzwischen häufig die fehlerhafte Regulatorik ist, die zu Lasten der Kunden Kosten schafft und die Renditen mindert.

2. Mangelnde Datenlage

Ursprünglich war der Plan der EU, zuerst die Nachhaltigkeitsberichterstattung für die Unternehmen und die damit verbundenen sogenannten „technischen Regulierungsstandards“ – RTS – in Kraft zu setzen, bevor im Anschluss die Abfragepflicht von Nachhaltigkeitspräferenzen kommen sollte.

Diese Vorgehensweise ergab Sinn, denn nur auf Basis von verbindlichen Standards kommen wir an jene Daten, die entscheidend dafür sind, wie nachhaltig ein Unternehmen und damit auch ein Anlageprodukt sein kann. Nun hat die EU jedoch bereits mehrfach die Implementierung der RTS verschoben – zuletzt auf den 1. Januar 2023 –, die Abfragepflicht für Berater jedoch nicht. Ganz zu schweigen davon, dass bisher nur Standards für „E-Kriterien“ eingeführt werden sollen und für „S“ und „G“ bisher allenfalls Entwürfe vorliegen.

Den Einwand, dass unsere Berater für ihre Empfehlung haften, hat man in Brüssel mit dem Kommentar „wir hoffen, dass die Aufsichten in der Übergangsphase mit Augenmaß agieren“ abgeschmettert.

3. Mindestanteil an Nachhaltigkeit

Sollte der Kunde Nachhaltigkeitspräferenzen angeben, ist der Berater in der Regel verpflichtet, den vom Kunden gewünschten Mindestanteil an Nachhaltigkeit für ein mögliches Produkt zu ermitteln. Dabei darf sich der Berater jedoch kaum Hilfsmittel wie Spannweiten oder ähnliches bedienen.

Und wenn der Kunde so versiert ist, seinen gewünschten Anteil an Nachhaltigkeit konkret nennen zu können, wird der Berater aufgrund der bereits angesprochenen mangelhaften Datenlage aktuell kaum ein Produkt finden, welches diesen gewünschten Anteil entspricht.

Dann darf der Berater jedoch nach Ansicht der europäischen Aufsichtsbehörden auf keinen Fall den Fehler machen, dem Kunden zu sagen, welchen Anteil an Nachhaltigkeit er anbieten könnte. Vielmehr muss er den Kunden bitten, seine Präferenzen anzupassen – diese Endlosschleife muss so lange wiederholt werden, bis der Kunde irgendwann in dem Prozentbereich landet, in dem ein Match mit einem Produkt möglich wäre, oder bis der Kunde entnervt aufgibt.

Das zeigt eindrucksvoll, wie undurchdacht der rechtliche Rahmen aktuell noch ist. Und das wird verständlicherweise Akzeptanz bei den vielen Millionen Menschen kosten, die sich zu Versicherungs- und Finanzanlageprodukten beraten lassen möchten.

Können Sie uns ein oder zwei Beispiele geben, welche Abfragen auf Finanzanlagenvermittler und/oder Versicherungsvermittler zukommen?

Martin Klein: Das Thema Mindestanteile habe ich bereits angesprochen. Eine zweite Vorgabe, bei der wir uns die Haare raufen, ist das Thema Staatsanleihen. Der europäische Gesetzgeber und die EIOPA verpflichten Versicherungsvermittler aktuell, den Kunden explizit zum Thema Staatsanleihen zu befragen.

Konkret heißt das: Wenn Sie als Versicherungsnehmer im Gespräch mit Ihrem Berater angeben, dass Sie bei ihrer fondsgebundenen Lebensversicherung einen Mindestanteil an Nachhaltigkeit von beispielsweise 20% wünschen, dann muss der Berater Sie danach auch noch fragen, ob dieser gewünschte Mindestanteil unter Berücksichtigung des in einem möglichen Versicherungsprodukt enthalten Anteils von Staatsanleihen ermittelt werden soll oder nur für den Teil gelten muss, der nicht in Staatsanleihen investiert wird. Das Ganze völlig losgelöst von der Frage, ob der Berater überhaupt Produkte mit Staatsanleihen im Portfolio hat oder nicht. Dieser von der EIOPA vorgesehene Beratungsweg ist für die Praxis völlig absurd. VOTUM und AfW haben gegenüber der EIOPA und der BaFin eingefordert, dass diese Vorgabe angepasst wird.

Nun bahnt sich auf EU-Ebene erneut eine Wende an. Der Umwelt- und Wirtschaftsausschuss des EU-Parlaments hat sich mehrheitlich gegen die – umstrittene – Aufnahme von Gas- und Atomkraft in die Taxonomie ausgesprochen. Wie geht es da weiter und welche Auswirkungen sind zu erwarten?

Norman Wirth: Das Votum der beiden Ausschüsse des EU-Parlaments hat erst einmal nur eine gewisse Signalwirkung gegen den Vorschlag der EU-Kommission. Spannend wird es Anfang Juli. Dann kommt die Abstimmung im gesamten EU-Parlament. Wenn mindestens die Hälfte der über 700 Abgeordneten dann gegen den Kommissionsvorschlag stimmt, tritt diese Regelung nicht in Kraft. Noch ist hier alles offen. Gern appelliere ich hier an die Leserinnen und Leser, an die eigenen EU-Abgeordneten heranzutreten und sich gegen diesen Versuch des Greenwashings auf höchster Ebene zu positionieren.

Wir sind uns wohl alle im Klaren darüber, dass beim Thema Nachhaltigkeit nichts perfekt ist. Wie viel können aber Ihrer Meinung nach die Maßnahmen in der Finanz- und Versicherungsvermittlung in der allgemeinen angestrebten Transformation bewirken?

Martin Klein: Ich bleibe bei meiner Meinung, die ich vor allem gegenüber den politischen Entscheidungsträgern immer wieder äußere: Unsere Branche nimmt eine zentrale Schlüsselfunktion beim Thema Nachhaltigkeit ein. Wir sind es, die Millionen von Kunden zu den Themen Versicherungsschutz, Altersvorsorge und Vermögensanlagen beraten. Wir sind es, die die finanzielle Bildung in die Haushalte der Republik tragen. Und die Reaktionen, die ich aus dem Kreis unserer Mitgliedsunternehmen wieder gespiegelt bekomme, zeigen auch, dass unsere Branche sich dieser Bedeutung bewusst ist. Auch das Kundeninteresse ist groß und die stark steigenden Zahlen der nachhaltigen Investitionen der Privatanleger zeigen, dass wir auf einem sehr guten Weg sind.

Ohne die Berater wird es aber nicht gehen. Wenn man Beratungspflichten schafft, die den Kunden in seinem Auswahlprozess maßlos überfordern, bewirkt man das Gegenteil. Wir stehen aber in den Startlöchern. Es wird Zeit, dass die Politik nun endlich nachzieht und einen verlässlichen gesetzlichen Rahmen schafft, damit wir unsere Arbeit machen und somit einen wichtigen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz beitragen können.

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Source: ImmoCompact